Wir knüpfen in lockerer Folge an den „Historisch-biografischen Dezember“ an und stellen uns weiteren methodischen Fragen der Biografieforschung in der Wissenschaftsgeschichte.
In diesem Beitrag ordnen wir die wissenschaftliche Biografieforschung in die Memoriapflege und das wissenschaftliche Belohnungssystem ein und zeigen auf, welche darstellerischen Herausforderungen dies für uns mit sich bringt. Es geht uns dabei um das richtige Maß an Distanz und Nähe und den Umgang mit unseren eigenen Sehepunkten.
Wissenschaftliches Kapital und Memoriapflege
Festschriften, Nachrufe, Gedenkkolloquien und insbesondere wissenschaftliche Biografien gehören sowohl zum wissenschaftlichen Belohnungssystem im Sinne Pierre Bourdieus (1930–2002) als auch zur Memoriapflege.
Ein zentraler Begriff bei Bourdieu ist das „Feld“, das als soziales Terrain verstanden werden kann, in dem Individuen um Anerkennung, Kapital und Status konkurrieren. In Bezug auf die Wissenschaft kann man das wissenschaftliche Feld als einen Raum beschreiben, in dem Wissenschaftler:innen um symbolisches Kapital ringen, das insbesondere in der Anerkennung besteht, die ihre wissenschaftlichen Leistungen durch die Peer-Community erfahren.
Pierre Bourdieu zufolge ist das symbolische Kapital also nicht nur und nicht einmal vorrangig ein Produkt des individuellen Einsatzes oder der individuellen Fähigkeiten und Leistungen, sondern vor allem auch ein Ergebnis der sozialen Anerkennung durch andere Akteur:innen im Feld (Bourdieu 1983).
„Wissenschaftlicher Erfolg“ hängt nicht nur von der Qualität der Forschungen oder der Relevanz der Forschungsergebnisse oder Entdeckungen ab, sondern ebenso von der sozialen Stellung und den Netzwerken, die die Person im Laufe ihres Lebens aufgebaut hat. Dieses Belohnungssystem, in dem das Kapital erworben und verhandelt wird, äußert sich zum Beispiel in Zitationszahlen, Preise und Ehrungen, Berufungen in Ämter der jeweiligen Community, aber auch in der Einladung zu Keynotes und im Erhalt einer Festschrift zur Pensionierung oder zu einem hohen Geburtstag. Auch Nachrufe, Gedenkkolloquien und posthume Ehrungen sind Teil des Belohnungsystems, in dem das symbolische Kapital vergeben wird.

Typische Instrumente der memoria-Pflege in der Wissenschaft
Die Memoriapflege – wir leihen uns hier bewusst einen Begriff aus der Mediävistik -, begann bei Wissenschaftler:innen manchmal schon zu Lebzeiten. Ihre Instrumente sind Ehrungen und Würdigungen, Medienberichte, Festschriften zum Geburtstag, Abschiedsvorlesungen zur Emeritierung und natürlich auch in selbstverfassten Autobiografien und im Management des eigenen Vor- und Nachlasses. Auch das wissenschaftliche Zitationswesen, das natürlich primär andere Funktionen hat, kann man zur Memoria zählen.

Beim Tod manifestiert sich die Memoriapflege in den Nachrufen, die per se überwiegend Erfolgsgeschichten sind – höchstens einmal tragische. Es folgen Gedenkfeiern, Gedenkbände, Sammelbände zum Todestag, Straßen- oder Preisbenennungen. Kolleg:innen und akademische Schüler:innen halten, Anekdoten erzählend, die Erinnerung aufrecht. Wenn sie eigene Lebensläufe und autobiografische Äußerungen schreiben, in denen sie sich als „Schüler:innen oder Weggefährt:innen von…“ inszenieren, tragen sie ebenfalls zur Erinnerung der verstorbenen Wissenschaftler:innen bei.

Zudem werden Wissenschaftler:innen zumindest eine Weile lang weiterhin zitiert, ihre Werke werden bibliografiert, manche Werke gehen in den Kanon eines Faches ein. Selbst Titel und wissenschaftliche Ergebnisse, die später als überholt oder als falsch erkannt werden, können noch zur Memoria beitragen – wenn man sich zum Beispiel bei der Darstellung des Forschungsstandes in den dienenden Kapiteln einer Studie von ihnen abgrenzt und sie dafür nochmals zitieren muss, um die Innovativität des eigenen Zugangs zu belegen.
In der Wissenschaftsgeschichte gibt es eine ganze Reihe Wissenschaftler, die vor allem deshalb im Gedächtnis geblieben sind, weil sie widerlegt wurden. Der französische Physiker Prosper-René Blondlot (1849-1930) wird zum Beispiel in Handbüchern der Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte nicht deshalb vorgestellt, weil er signifikante experimentelle Arbeiten zur Theorie des Elektromagnetismus veröffentlichte, sondern weil er 1903 verkündete, eine neue Form von Strahlung, die N-Strahlen, entdeckt zu haben. Nach wenigen Jahren mit enormer wissenschaftlicher Resonanz wurden die N-Strahlen als erwartungsgeleitete Selbsttäuschung Blondlots erkannt (Chalmers 2007).
Das Belohnungssystem reicht also über den Tod der Person hinaus. Nach dem Tod rückt das symbolische Kapital sogar besonders in den Vordergrund. Es muss dafür keine direkte Leistung mehr erbracht werden, sondern die posthume Anerkennung durch andere trägt dazu bei, das bestehende Kapital und den Einfluss einer Person über den Tod hinaus zu festigen.
Natürlich kann auch das Gegenteil eintreten: Wenn kaum Memoriapflege betrieben wird, wenn jemand bald nicht mehr zitiert wird, weil sich die Forschung in andere Richtungen entwickelt oder andere Personen viel Aufmerksamkeit abziehen, sinkt das symbolische Kapitel, es kommt zu Irrelevanz und Vergessen (Díaz-Andreu 2025).
Der Nachruf und andere posthume Ehrungen, sofern es sie gibt, verdeutlichen, wie eine Person in der sozialen Hierarchie des wissenschaftlichen Feldes verortet ist. „Therefore we can conclude that having a biography written about one is a reward just as receiving a price or having one’s name attached to a ‚law‘, ‚effect‘ or ‚unit‘.“ (Hankins 2007, S. 93.)

Der Stellenwert der Biografie für die Memoria
Es geht hier ja nicht nur um die punktuelle Würdigung der Verdienste der Verstorbenen und um deren ehrendes Andenken, sondern um die Stabilisierung des sozialen und akademischen Status und auch um eine Selbstvergewisserung der anderen Personen im Feld. Interessant daran sind besonders folgende Aspekte:
1.
In begrenztem Maße können Wissenschaftler:innen schon zu Lebzeiten Einfluss auf die Memoriapflege nehmen. Wir haben das am Beispiel der Nachlässe im Blog schon einmal aufgezeigt. Wissenschaftler:innen nehmen mitunter zu Lebzeiten durchaus einen gewissen Einfluss darauf, was einmal im Nachruf stehen wird, oder lenken, ob es Gedenkbände und Ähnliches geben wird. manche verbitten sich das aber auch.
Wie Wilhelm Füßl, der Archivleiter des Deutschen Museums in München, 2014 in einen Aufsatz über die Konstruiertheit von Nachlässen aufzeigte, nehmen viele Nachlassgeber massive Auswahlentscheidungen vor oder entscheiden sie oder ihre Angehörigen, was überliefert wird und was vernichtet wird. Manche Nachlassgeber versuchen gezielt ein Idealbild von sich vorzubereiten, indem sie bestimmte Dokumente auslassen oder hinzufügen (Füßl 2014).
2.
Biografien haben dabei Art doppelte Funktion. Sie sind erstens ein Teil der Würdigung und tragen dazu bei, dass diese Person erinnert wird. Das gilt auch dann, wenn es sich um eine überaus kritische Biografie handelt, die hauptsächlich von Fehlern oder Vergehen berichtet: Auch eine negative Verortung ist eine Form des Kapitals und auch eine negative Erinnerung ist eine Erinnerung. Biografieschreibung konstruiert Bedeutung.
Zweitens aber zeichnen historische Biografien auch den Weg der Anerkennung und der Verortung im Feld nach, wenn sie das Leben und das Schaffen der Person untersuchen. Eine gut geschrieben Biografie informiert also auch über die Geschichte des Belohnungssystems des jeweiligen Feldes und erzählt, wie eine Person ihren Platz dort einnahm.
Doch die Biografie informiert nicht nur darüber, sondern gehört selbst zum Belohnungssystem im Sinne Pierre Bourdieus. Sie verortet die biografierte Person im Kontext einer größeren wissenschaftlichen Tradition und kann so auch zu einem Werkzeug der Reproduktion und Legitimation von Machtstrukturen innerhalb eines wissenschaftlichen Feldes werden.
3.
Indem wir Personen, die zu Lebzeiten eher marginalisiert waren, durch unsere Forschung für biografiewürdig erklären, verleihen wir ihnen Anerkennung und zwar aus unserer Sicht der Gegenwart – als Wissenschaftler:innen wurden sie zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, vielleicht ja auch, weil sie tatsächlich nicht besonders viel oder besonders lange geforscht haben.
Durchschnittliche Leistungen oder Marginalisierung oder einfach der Verbleib auf unteren Karriereleitern bedeuten in der Regel, dass kein Nachruf erschien, keine Festschrift herauskam, kein Eintrag in die biografischen Lexika gelangte und stattdessen Vergessen einsetzte. Mitunter kommt es vor, dass Verstorbenen posthum mehr symbolisches Kapitel und Anerkennung zuteil wird als zu Lebzeiten. Wir haben selbst Archäologinnen identifiziert, die – soweit wir das aus den Quellen sehen konnten – zu Lebzeiten kaum wahrgenommen wurden und wenig symbolisches Kapital ansammeln konnten. Wenn nun die Daten unserer biografischen Forschung in die Wikipedia einfließen, wenn diese Frauen einen biografischen Beitrag neben den „großen Archäologien“ auf Propylaeum Vitae erhalten, oder wenn wir sie in Blog und Ausstellung bekannt machen, bauen wir etwas von diesem symbolischen Kapital auf. Da der Auftrag in unserem Projekt lautete: „Frauen sichtbar machen“ verleihen wir den Frauen im Nachgang die Bedeutung „vergessene, aber erinnerungswürdige Frau“. Das kann man auch kritisch sehen, denn es ist Teil einer Agenda. Diese kann z.B. eine emanzipatorische oder kompensatorische Zielsetzung haben.
Einen Nachruf zu schreiben, ein Gedenkkolloquium zu veranstalten und eine Biografie zu schreiben, kann auch Arbeit am Mythos der biografierten Person sein, sowohl in verstärkender Hinsicht oder in Form von Myth Busting – ein Beispiel wären die hier ganz gegensätzlichen Biografien über die Genetikerin Barbara McClintock (1902-1992) von Evelyn Fox Keller (1936-2023) aus dem Jahr1992 und von Nathaniel Comfort (1962) aus dem Jahr 2023 (Fox Keller 1984; Comfort 2003).
Wilhelm Füßl sagt dazu: „Meine Kernthese geht dahin, daß durch den Biographen, durch seine soziokulturelle Stellung und die daraus resultierenden Verhaltensmuster, durch die Art der Recherche und Bewertung der Quellen und schließlich durch die Methode, Quellen publizistisch zu verarbeiten, eine zeitabhängige Interpretation der von ihm untersuchten Persönlichkeit in die jeweilige Biographie implantiert wird. Der Biograph wird so Teil eines Mythologisierungsprozesses von Persönlichkeiten der Geschichte.“ (Füßl 1998, S. 60)
Konstruktionen, Distanz und Nähe in der Biografieforschung
Wer einen Nachruf verfasst, ein Gedenkkolloquium organisiert oder sogar eine wissenschaftliche Biografie schreibt, verortet sich auch selbst: der Person gegenüber, aber vor allem auch innerhalb des wissenschaftlichen Feldes, dem man selbst angehört.
Das gilt besonders dann, wenn die biografierte Person und die biografieschreibende Person demselben Feld angehören. Einen Nachruf zu verfassen, ist eine Ehre. Eine Ehrung zu organisieren oder eine Festschrift herauszugeben, verortet die Ausführenden im Feld und um die verstorbene Person herum. Da das Belohnungssystem tief in den sozialen Strukturen des Feldes verankert und oft mit institutionellen Mechanismen wie akademischen Positionen und Titeln verbunden ist, sind Anerkennungen nicht nur Ausdruck der objektiven Wertschätzung von Leistungen, sondern auch Teil eines komplizierteren Systems, in dem Anerkennung auch als strategisches Mittel für die eigene soziale Positionierung dient.
Das ist auch mit dem Problem verbunden, dass man beim Biografieschreiben dazu neigt, zu betonen, dass die Lebensgeschichte der Person von außergewöhnlicher Bedeutung gewesen sei, um zu legitimieren, dass man diese biografische Forschung überhaupt macht. Für das eigene wissenschaftliche symbolische Kapital wäre es ja nicht gut, wenn die eigene Forschung als irrelevant wahrgenommen werden würde. Auch die eigenen Sehepunkte und die Perspektive der biografieforschenden Wissenschaftlerin und die eigene Sozialisation haben Einfluss auf die Inhalte und Darstellungsweisen in der Biografieforschung (Harders 2020, 17).
Gerade dann, wenn man über eine Person aus einem Feld schreibt, dem man selbst angehört, rücken das biografierte Subjekt und die Subjektivität der Autorin eventuell nah aneinander, und in der Beschreibung der historischen Situation können sich leicht aktuelle Haltungen und die Sozialisation der Biografin spiegeln. Lutz Raphael hat dieses Problem 1996 für die biografische Forschung über frühere Historiker:innen durch Forscher:innen aus der Geschichtswissenschaft aufgezeichnet (Raphael 1996). Leve Harders rät deshalb dazu, die eigenen Sehepunkte zu reflektieren und offen zu legen (Harders 2020). Das klappt nicht immer gleich gut, wie Michael Shortland und Richard Yeo an Beispielen aufzeigen. (Shortland/Yeo 1996, 33-36).
Auch die Nähe zur biografierten Person kann zum Problem werden. Man versucht ja die individuelle Subjektivität einer Person zu erfassen, wenn man über ihren Lebensweg, ihr Handeln und Denken forscht. Da kann das wissenschaftliche Distanzierungsniveau geringer ausfallen als bei z.B. strukturgeschichtlichen Zugängen der Wissenschaftsgeschichte. Der Archäologe und Archäologiehistoriker Douglas Givens warnt deshalb: „[…] it is indeed true that the biographer should not fall in love with his or her subject. Instead the biographer must develop a serious identification with the person. Effort must be expended in getting acquainted with the person that he or she will be ‘living with’ over an extended period. …] However, biographers must conduct unbiased assessments of their subjects or at least recognize and state their biases.”” (Givens 2008, S. 187-188). Wie Givens hervorhebt, sollten Forschende darauf achten, keine übermäßige emotionale Bindung zur biografierten Person aufzubauen.
Das Problem und der diesbezügliche Auftrag sind also recht klar, aber wie lässt letzterer sich umsetzen?
Was tun?
Um die eigene Perspektive und Sozialisation aktiv zu reflektieren, können Forschungstagebücher eine sinnvolle Hilfe sein. Darin kann man persönliche Eindrücke und Gefühle und die Gründe für methodische Entscheidungen dokumentieren. Da es wichtig ist, eigene emotionale Reaktionen wahrzunehmen, ohne diese in die Forschung einfließen zu lassen, können Gespräche oder schriftliche Analysen helfen, Distanz zu wahren.
Man kann auch versuchen, ab und an bewusst einen kritischen Außenblick auf die biografierte Person und die eigene Forschung über diese einzunehmen. Wie würde eine Fachkollegin, die zu anderen Themen arbeitet, die Person beurteilen? Oder eine andere soziale Gruppe? Wie würde die Biografie einer marginalisierten Wissenschaftlerin auf Angehörige einer anderen marginalisierten Gruppe wirken? Natürlich kommt ein solcher Perspektivenwechsel auch auf, wenn man die biografischen Forschungen auf Tagungen zur Diskussion stellt.
Der nächste Schritt wäre, Transparenz zu schaffen, zum Beispiel in der Einleitung, im Vorwort oder in anderen dienenden Kapiteln, um den Leser:innen die Möglichkeit zu geben, die eigene Perspektive nachzuvollziehen. Diese Reflexion kann den Leser:innen helfen zu verstehen, dass die biografische Erzählung niemals völlig objektiv ist, sondern immer durch die Perspektive und die Methodik des oder der Forschenden geprägt wird.
Wie könnten wir das formulieren?
Zum Beispiel so: „Als Historikerin, die sich auf die Rolle von Frauen in der Wissenschaftsgeschichte spezialisiert hat, bringe ich eine bestimmte Perspektive in diese Biografie ein. Mein Ziel ist es, marginalisierte und oft übersehene Beiträge von Frauen sichtbar zu machen. Diese Intention beeinflusst zwangsläufig die Auswahl meiner Quellen und die Fragen, die ich an das Material stelle. Ich versuche jedoch, diese motivierte Annäherung durch kritische Reflexion und methodische Strenge auszugleichen und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen, um ein differenziertes Bild der historischen Figur zu zeichnen.”
Auch der Einfluss der eigenen Gegenwart und Gesellschaft auf die Forschung kann angesprochen werden.
„Es ist uns bewusst, dass unser Forschungsprojekt in einem spezifischen soziokulturellen Kontext stattfindet, der von Debatten um Geschlechtergerechtigkeit und soziale Inklusion geprägt ist. Dieser Kontext beeinflusst zum Beispiel unser Interesse an den interpersonellen Dynamiken und den Netzwerken, die das wissenschaftliche Werk der untersuchten Forscherinnen beeinflusst haben.“
Verweisen können wir dabei zum Beispiel auf Donna Haraways Konzept der „situierten Erkenntnis“ (Haraway 1988), das dazu auffordert, die eigenen Positioniertheit anzuerkennen, statt für eine wissenschaftliche Biografie als Teil von Wissenschaft Neutralität zu behaupten. „Situiertes Wissen“ geht ähnlich wie die Sehepunkt-Idee davon aus, dass die soziale, kulturelle, ökonomische oder auf das Geschlecht bezogene Position des wissenden oder forschenden Subjektes beeinflusst, wie dieses Wissen hervorbringt und bewertet.
Auch eine selbstkritische Distanz zur empfundenen Sympathie oder Antipathie gegenüber der biografierten Person oder gegenüber Irritationen könnte formuliert werden.
Um auf die narrative Konstruktion einer biografischen Erzählung hinzuweisen, könnten wir erklären, dass die Wahl der Sprache und der narrativen Struktur zwangsläufig die Darstellung beeinflussen, weil Geschichtsschreibung immer einer bestimmten narrativen Struktur folgt, die durch kulturelle und sprachliche Konventionen geformt ist. Auch das Problem der biografischen Illusion sollte thematisiert werden und das Risiko, dass man aus der Retrospektive dem biografierten Leben Logiken zuweist, die so gar nicht existiert haben. Selbstverständlich ist auch der Hinweis auf die durch die begrenzte Reichweite der Quellen notwendigerweise entstehenden Lücken und offenen Fragen und die generelle Konstruiertheit einer biografischen Erzählung.
Im Projekt AktArcha sind wir die Biografien in hohem Maße sozialgeschichtlich angegangen und haben uns weniger mit epistemologischen Fragen der Archäologiegeschichte auseinandergesetzt. Also sollten wir einräumen, dass das nur eine Herangehensweise von vielen ist, die einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte aus biografischer Sicht leisten.
Literatur:
Bourdieu 1983: Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198.
Chalmers 2007: Alan R. Chalmers: Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie, hrsg. und übers. v. Niels Bergemann/Christine Altstötter-Gleich, 6., verb. Aufl. New York 2007.
Comfort 2003: Nathaniel C. Comfort: The Tangled Field. Barbara McClintock’s Search for the Patterns of Genetic Control, 2. Auflage, Cambridge, Massachusetts 2003.
Díaz-Andreu 2025: Margarita Díaz-Andreu: The Matilda Effect in Archaeology. Recovering Women for the History of the Discipline, in: Marianne Moen/Unn Pedersen (hrsg.) Routledge Handbook of Gender Archaeology, London 2025, S. 126-145, doi: 10.4324/9781003257530-12.
Fox Keller 1984: Evelyn Fox Keller: Barbara McClintock. Die Entdeckerin der springenden Gene, Basel/Boston/Berlin 1984.
Füßl 1998: Wilhelm Füßl: Übrig bleibt, was übrig bleiben soll. Zur Konstruktion von Biografien durch Nachlässe, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 37 (2014), S. 240-262.
Füßl 1998: Wilhelm Füßl: Zwischen Mythologisierung und Dekonstruktion: Die Funktion des Biographen, in: Ders./ Stefan Ittner (Hrsg.): Biographie und Technikgeschichte, Opladen 1998, S. 59–69.
Givens 2008: Douglas R. Gives: The Role of Biography in Writing the History of Archaeology, in: Tim Murray/Christopher Evans (hrsg.), Histories of Archaeology: A Reader in the History of Archaeology, Oxford 2008, S. 177-193.
Handers 2020: Levke Harders: Historische Biografieforschung, Version: 1.0., in: Docupedia–Zeitgeschichte, 31.10.2020, http://docupedia.de/zg/Harders_historische_Biografieforschung_v1_de_2020. DOI: http://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok–2014.
Hankins 2007: Thomas L. Hankins: A new look at the genre of scientific biography, in: Thomas Söderqvist (hrsg.), The History and Poetics of Scientific Biography, Ashgate, S. 93-104.
Haraway 1988: Donna Haraway: Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective, in: Feminist Studies, 14 1988, H. 3, S. 575–599.
Raphael 1996: Lutz Rapahel 1996: Diskurse, Lebenswelten und Felder. Implizite Vorannahmen über das soziale Handeln von Kulturproduzenten im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hardtwig, Wolfgang/Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Kulturgeschichte heute, in: Geschichte und Gesellschaft Sonderheft 16, Göttingen, S. 165-181.
Shortland/Yeo 1996: Michael Shortland/Yeo Richard: Introduction, in: Shortland Michael/Yeo Richard (hrsg.): Telling Lives in Science: Essays on Scientific Biography, Cambridge 1996, S. 1-44.
Diesen Beitrag zitieren: Elsbeth Bösl: Die Biografie als Teil der Memoria-Pflege – methodische und darstellerische Herausforderungen an wissenschaftliche Biografien in der Wissenschaftsgeschichte, in: AktArcha - Akteurinnen archäologischer Forschung und ihre Geschichte(n), 30.1.2025, https://aktarcha.hypotheses.org/8879
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Elsbeth Bösl (30. Januar 2025). Die Biografie als Teil der Memoria-Pflege – methodische und darstellerische Herausforderungen an wissenschaftliche Biografien in der Wissenschaftsgeschichte. AktArcha. Abgerufen am 19. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/137fv