Digital resources in the Social Sciences and Humanities OpenEdition Our platforms OpenEdition Books OpenEdition Journals Hypotheses Calenda Libraries OpenEdition Freemium Follow us

Quelle zur Ausstellung “Ein gut Theil Eigenheit” VI

Gertrud Dorka

„Wenn Sie ein Kerl sind, bleiben Sie bei der Vorgeschichte!“ Ein Karriereratschlag von Gertrud Dorka an eine junge Studentin

Quelle:

Archiv des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin, MVF D2 Wissenschaftliche und fachbezogene Korrespondenz 1948-1949 N-Z: Dr. Gertrud Dorka an Frl. Helga Sch., Karlsruhe, 22.10.1949


Die Biologiestudentin Helga hatte 1949 Gertrud Dorka um dringenden Rat in Studiendingen gebeten. Sie studierte an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, hatte sich aber nach Tübingen beworben, weil sie in Karlsruhe keine guten Studienbedingungen vorgefunden hatte. Der Ortswechsel würde Kosten verursachen, soviel war absehbar, und sie hatte Angst, ihre Mutter zu enttäuschen. Helgas Mutter, eine Pastorenwitwe, arbeitete mit Getrud Dorka beim Wiederaufbau der Bibliothek des Museums für Vor- und Frühgeschichte zusammen. Die drei Frauen waren gut, sogar eher freundschaftlich, bekannt miteinander. Aus dem Verkaufserlös der väterlichen Fachbibliothek, den Dorka ermöglicht hatte, finanzierte Helga ihr Studium. Doch ihre Sorgen waren nicht nur finanzieller Art. Sie befürchtete, dass niemand mehr Biologinnen brauche, und überlegte zur Chemie zu wechseln, um einen guten Abschluss zu erhalten. Man sei ja im Leben häufig auf sich gestellt, und dann wäre es schlimm, keinen Beruf zu haben. Sie wollte ihrer Mutter zur Seite stehen und befürchtete, später nicht für diese sorgen zu können.

Getrud Dorka versuchte in ihrer Antwort, Helga zunächst die finanziellen Sorgen zu nehmen – sie werde für das Museum noch mehr Bücher aus der Sammlung des verstorbenen Vaters erwerben.

Besonders interessant ist aber der Rat, den sie Helga gab. Sie brachte darin ihre eigene Geschichte ins Spiel:

„Was nun meinen Rat angelangt, so will ich Ihnen erzählen, dass ich von der praktischen Aussichtslosigkeit meines Studiums der Prähistorie überzeugt war, dass ich aber gerade in diesem Fach promovieren wollte, weil ich davon das meiste wusste. Als ich mit dem Entwurf von 2 Dissertationen aus äusseren Gründen Pech hatte und sie nicht weiter führen konnte, wollten die beiden anderen Professoren meiner Hauptfächer mir in ihrem Fache helfen. Als ich dem einen dann meine innere Verbundenheit mit den Dingen der Vorgeschichte auseinandersetzte, schlug er mir auf die Schulter und sagte: ‚Wenn Sie ein Kerl sind, bleiben Sie bei der Vorgeschichte!‘ Und deshalb will ich auch Ihnen raten: ‚Wenn Sie ein Kerl sind, dann bleiben Sie bei der Biologie!‘“

Gertrud Dorka machte Helga Mut, darauf zu vertrauen, dass sich viele Dinge zum Guten wenden, wenn man erstmal fest entschlossen ist.

Sie wusste genau, wovon sprach, denn sie hatte selbst unter sehr schwierigen Bedingungen studiert und promoviert. Schon der Weg zum Studium der Vorgeschichte in Berlin war für sie als Lehrerin hart gewesen. Sie kam aus dem Kiekebusch-Seminar, hatte also eine umfangreiche universitätsähnliche Vorbildung, musste jedoch berufsbegleitend Latein und Griechisch nachlernen, studierte dann zweitweise neben ihrer Lehrerinnentätigkeit an der Universität Berlin vor allem bei Wilhelm Unverzagt (1892-1971) und Albert Kiekebusch (1870-1935). Als 1934 Hans Reinerth (1900-1990) den lange vakanten Berliner Lehrstuhl von Gustav Kossinna (1858-1931) erhielt, geriet Dorka sofort mit ihm in Streit über ihre Dissertation. Reinerth lehnte ihre Arbeit über den pommerschen Weizacker Kreis Pyritz in der longue durée ab. Reinerth wollte eine lieber eine Arbeit über eine bestimmte Zeitstufe sehen in einem größeren räumlichen Kontext sehen. Er verlangte, dass sie eine Arbeit über eine Steinzeitkultur verfassen sollte, die ihm bisher nicht als ‚germanisch‘ genug beschrieben worden war. Dorka scheiterte wohl schon an der Materialsuche, weigerte sich aber auch, das Germanische an dieser Kultur zu sehen. Der Streit eskalierte und sie nahm die bereits eingereichten Unterlagen wieder zurück. In dieser Situation trat Unverzagt mit dem zitierten Rat auf dem Plan, als sie ihm andeutete, dann eben nicht zu promovieren, aber zumindest die Arbeit über Pyritz fertig machen zu wollen. Er vermittelte sie zu Gustav Schwantes (1881-1960) in Kiel, wo sie 1936 mit dieser Arbeit promovierte. Das Buch erschien 1939. Eine Anstellung am Kieler Museum scheiterte unter anderem daran, dass Mitglieder der Universität, die an der Stellenbesetzung beteiligt waren, von Gertrud Dorka den Eintritt in die NSDAP erwarteten. Dazu war sie nicht bereit. In Berlin hatte sie wegen des Zerwürfnisses mit Hans Reinerth aber auch keine Chance auf eine Tätigkeit als Prähistorikerin. Selbst eine Vortragstätigkeit vor Lehrkräften, wie sie diese selbst aus dem Kiekebusch-Seminar kannte, wäre ihr verwehrt worden. So wurde sie wieder Lehrerin, eine Tätigkeit, die sie mit großer Begeisterung und Zuneigung zu ihren Klassen bis nach Kriegsende ausführte. In ihrer Freizeit bearbeitete sie den damaligen Kreis Oberbarnim in Brandenburg, verlor aber alle Unterlagen im Krieg. Nur mit wenigen Vertrauten aus dem ehemaligen Kiekebusch-Kreis und der Berliner Bodendenkmalpflege hatte sie noch Kontakt. Eben dieser Umstand machte es aber 1947 möglich, dass sie für den Wiederaufbau des ehemals staatlichen Museums für Vor- und Frühgeschichte eingestellt wurde, dessen Direktorin sie bis zur Pensionierung 1958 blieb.

Weitere Quellen:

Landesarchiv Berlin, Rep A 001-06 Nr. 10302 Personalakte Gertrud Dorka 1945-1948


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Elsbeth Bösl (17. November 2022). Quelle zur Ausstellung “Ein gut Theil Eigenheit” VI. AktArcha. Abgerufen am 19. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/axn4


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.